Shelby's Kur
Auto Motor und Sport 20/1965
Unser Meßteam hat leichte Arbeit an diesem Tag: Das Auto löst sich ohne Kupplungs- oder Drehmomentschwächen von der Startlinie und beschleunigt mit sattem V8-Brozzeln über die Meßstrecke. Die beiden im Wagen spüren einen gewaltigen Schub im Rücken, der - nur von drei blitzschnellen Schaltvorgängen unterbrochen - bis jenseits 200 km/h unvermindert anhält. Nach rund 1200 m sind 217 km/h erreicht und damit die Höchstgeschwindigkeit. Denn der Drehzahlmesser zeigt 8500 U/min im direkten Gang und gebietet ,,Gas weg". Die Motorleistung hingegen würde ausreichen, die Höchstgeschwindigkeit auch gegen den Wind und an leichten Steigungen einzuhalten, und auf der Ebene braucht man nicht einmal Vollgas dazu.
Wir sprechen von einem amerikanischen Seriensportwagen für 4311 Dollar. Genauer gesagt, von einem Ford Mustang, den Carroll Shelby in einen GT 350 verwandelt hat. In seiner modernen Fabrik in Kalifornien unterzieht er pro Monat nicht weniger als 200 Mustangs dieser Leistungskur. Shelby ist bekanntlich jener Yankee, der eines Tages begann, die feingliedrigen Ferrari- Renner mit grobschlächtigen PS-Monstren zu attackieren und der ihnen mittlerweile die GT- Weltmeisterschaft abgejagt hat. Darüber ließ der ehemalige Rennfahrer und clevere Techniker sein kaufmännisches Talent keineswegs verkümmern, was ihm enge Geschäftsbeziehungen zu der sport- freudigen Ford Motor Company sowie eine blitzsaubere Rennwagenfabrik eintrug, in der er neben schnellen Mustangs die berüchtigten Cobra- Rennwagen und allerlei Rennsportzubehör fabriziert. Für uns war es die erste Bekanntschaft mit einem Shelby- Auto, und wir dürfen sagen: Es war uns ein Vergnügen!
Die Basis für den GT 350 bildet der Mustang 2+2 mit Fastback. Die sportliche Ertüchtigung des sonst harmlosen Boulevard- Sportwagens beginnt bei seinem 4.7 Liter VB-Motor. Da Shelby dieses Triebwerk auch für den Cobra GT verwendet, hat er dafür eine Menge PS- haltiger Zutaten bereit, von denen er nur einige in den Mustang einzubauen braucht, um aus dem schmiegsamen Serienmotor eine standfeste Sportmaschine zu machen. Für höhere Leistung sorgen auf der Einlaßseite ein rennerprobter Holly- Vierfachvergaser mit Sportansaugkrümmer und auf der Auslaßseite ein strömungsgünstiger Einzelrohrkrümmer, der in eine dämpfungsarme Auspuffanlage mündet. Der Ölhaushalt wird von 5 auf 6,5 Liter vergrößert. Shelby's Spezialölwanne besteht aus Aluminium und besitzt eingegossene Schonen, die ein Ölschwappen bei scharfer Kurvenfahrt verhindern.
Die so präparierte Maschine leistet 306 SAE-PS bei 6000 U/min (der stärkste Mustang- Serienmotor hat 271 SAE-PS) und verfügt über eine zulässige Höchstdrehzahl von 6500 U/min sowie über eine erstaunliche thermische Unempfindlichkeit Um ihre Verwandtschaft mit dem Cobra- Rennmotor zu dokumentieren, spendiert Shelby der GT 350-Maschine schließlich noch die schmucken Aluminium- Zylinderkopfdeckel mit dem Cobra- Schriftzug.
Die Kraftübertragung erfolgt über ein leichtes Sportgetriebe (Warner T 10) mit Aluminiumgehäuse. Von hier fließt die Leistung über die mächtige Kardanwelle, die aus dem Lastwagenbau zu stammen scheint, zu einem nicht minder voluminösen Sperrdifferential, das tatsächlich vom Lastwagen stammt. Die Firma Detroit Automotive Products fabriziert das stabile Aggregat in Großserie und hat nichts dagegen, daß es Sportfahrer als heavy duty- Einheit für ihre heißen Ofen mißbrauchen. Im Shelby Mustang dient es dazu, die schöne Leistung beim Start und in den Kurven auf den Boden zu bringen. Denselben Zweck verfolgen breite 6 Zoll-Felgen sowie Goodyear Sportreifen vom Format 7,75-15.
Weit mehr als an der Leistung gebricht es dem serienmäßigen Mustang freilich an Straßenlage und Bremsen (siehe Test in Heft 17/64). Doch der Rennpraktiker Carroll Shelby weiß, wie man labile amerikanische Komfortautos zu harter Sportlichkeit erzieht. Durch Tieferlegen des inneren Anlenkpunktes vom oberen Querlenker verleiht er den Vorderrädern einen leichten negativen Sturz, der die Kurvenstabilität erhöht. Das gleiche bewirkt ein sehr starker Querstabilisator an der Vorderachse. Die starre Hinterachse bleibt nicht allein den Blattfedern überlassen, sondern bekommt zusätzliche Drehmomentstreben (torque arms). Sie sind mit einem Ende oben auf der Achse angelenkt und mit dem andern im Chassis verankert. Ihre Aufgabe ist es, die starken Antriebs- und Bremsmomente aufzunehmen und von den Blattfedern fernzuhalten. Schließlich wird der GT 350 mit Koni- Stoßdämpfern hart gedämpft.
Die Bremsen baut Shelby radikal um, denn mit den serienmäßigen Mustang- Bremsen hätte, man an dem schnellen Auto wenig Freude. Vom werden belüftete Bremsscheiben von Kelsey Hayes eingebaut. Diese Hochleistungsscheiben haben einen größeren Durchmesser als die serienmäßigen sowie radiale Bohrungen zur besseren Wärmeableitung. Die hinteren Trommelbremsen werden verbreiten und mit harten Rennbremsbelagen ausgerüstet Servoaggregate sucht man im GT 350 vergebens; sowohl die Bremsen als auch die Lenkung arbeiten ohne Unterstützung. Die unhandliche Lenkübersetzung des Serien- Mustang reduziert Shelby von 27:1 auf 19:1. Dadurch verringern sich die Lenkradumdrehungen von Anschlag zu Anschlag von 5 auf 3 1/2.
Auch Karosserie und Innenausstattung bleiben nicht verschont, sondern werden durch kleine Änderungen funktioneller gestaltet. Um Gewicht zu sparen, bekommt der GT 350 eine Motorhaube aus Kunststoff. Darauf sitzt eine große, offene Lufthutze, die Frischluft in den darunterliegenden Vierfachvergaser drückt. Die Haube sichert Shelby durch ebenso einfache wie zweckmäßige Verschlüsse mit Dorn und Splint, die er von den Ford- Traktoren übernommen hat. Nicht serienmäßig sind die attraktiven Gußräder, die unser Testwagen hatte. Sie werden nur auf Wunsch und gegen einen Aufpreis von 273 Dollar montiert. Alle GT 350 sind einheitlich in den amerikanischen Rennfarben gespritzt, nämlich weiß mit blauen Längsstreifen.
Im Innenraum findet man ein kleines Cobra- Holzlenkrad sowie Drehzahlmesser und Ölmanometer als zusätzliche Instrumente. Der Rücksitzraum ist aus Gewichtsgründen vollkommen nackt. Nur das Reserverad ist hier auf dem Blech festgeschraubt.
Im kleinen Kofferraum stößt man auf die Batterie, die vom Motorraum hierher umgesiedelt wurde. Wir fuhren den Mustang GT 350 in der beschriebenen Ausführung. Dabei handelt es sich um die sogenannte Straßenversion, neben der noch eine Wettbewerbsausführung existiert. Diese unterscheidet sich durch eine Reihe rennsportlicher Attribute: Im wesentlichen sind es breitere 7 Zoll- Felgen mit Rennreifen, Luftleitschächte zur Kühlung der Bremsen, ein größerer Wasserkühler, ein Ölkühler für das Differential und ein 120 Liter- Tank. Im Innenraum sieht es aus wie in einem Rennauto: keine Innenauskleidung mehr, nur nacktes Blech, Plexiglas- Steckfenster, Sturzbügel, Kübelsitze und ein gestripptes Armaturenbrett mit reinen Sportinstrumenten. Für den Renn- GT zahlt ein Amerikaner 6000 Dollar und kann damit praktisch sofort an den Start gehen.
Imposant und problemlos
Wir fuhren unsere Straßenversion vorwiegend auf der Straße und wurden damit in ungewöhnlichem Maße respektiert. Das Shelby- Auto sieht mit seinem schwarzen Kühlergesicht und den dicken blauen Streifen auch wirklich böse aus, wenn es im Rückspiegel von hinten aufkommt. Nicht ohne Wirkung bleibt auch der barsche Auspuffton, denn der GT 350 feuert beidseitig aus großkalibrigen Rohren, die vor den Hinterrädern münden. Dieser Mustang ist schon ein respektheischendes Auto. Trotz seiner Seriennähe wirkt er auf die Umwelt wie auf den Fahrer ungleich eindrucksvoller als sein Bruder aus Detroit.
Als Fahrer fühlt man sich in dem weiträumigen Coupé indes recht wohl. Mit dem flachen Holzlenkrad ist die Fahrposition günstiger als mit dem schüsselförmigen Serienlenker. Die normalen Mustangsitze sind bequem und geben bei schneller Kurvenfahrt gerade noch genügend Halt. Die Zusatzinstrumente (Drehzahlmesser und Ölmanometer) sitzen etwas zu weit rechts außerhalb vom Blickfeld des Fahrers, und auch der Hupenschalter ist am Armaturenbren nicht günstig plaziert. Im übrigen vermißt man nichts, was das Fahren in zivilen Sportwagen angenehm macht.
Der dicke V8-Motor startet sicher und brabbelt Im Leerlauf zuverlässig mit ca. 800 U/min. Ein Tritt aufs Gaspedal aber läßt Ihn losbellen, daß einem TÜV-Beamten daß Phonmeßgerät aus der Hand fallen würde. Dabei ist dieser Sportmotor (spezifische Leistung 64 PS/Liter) von gutmütigem Charakter: Von 2000 U/min bis 6500 U/min zeigt er ein kraftvolles Leistungsverhalten mit makellosen Übergängen. Die unwahrscheinliche Elastizität zieht einen mühelos Im vierten Gang durch den Stadtverkehr; doch auf freier Wildbahn kann man ein Beschleunigungsfest veranstalten. das auf Freunde hoher Leistung berauschend wirkt. Erstaunlich ist, wie sicher der große Motor hohe Drehzahlen meistert: Wir haben nicht nur bei den Meßfahrten 8500 U/min kilometerweit eingehalten, sondern die rote Markierung auf dem Tourenzähler versuchsweise bis 6700 U/min überschritten, ohne daß sich von selten der Leistungskurve oder des Ventiltriebs die absolute Grenze gezeigt hätte. Wie gesund Shelby's Maschine tat, ließ sich ferner an der Motortemperatur ablesen. die sich im zähen Stadtverkehr ebenso wie bei scharfer Autobahnjagd in einem günstigen Bereich hielt. Der Ölverbrauch lag unter 1 Liter / 1000 km. In die eindrucksvollen Beschleunigungswerte teilen sich das gute Leistungsgewicht von 4,3 kg/PS, das enggestufte Sportgetriebe und die relativ kurze Hinterachsübersetzung. Die engen Gangstufen lassen den Motor nach dem Schalten mit fast unverändertem Ton wieder einsetzen. Oben heißt es dann allerdings streng nach Drehzahlmesser fahren, weil die kurze Übersetzung - wie eingangs schon erwähnt - die Höchstgeschwindigkeit beschneidet.
Im Verkehr ist man überrascht, wie mühelos das starke Auto zu handhaben ist Die Kupplung arbeitet mit geringem Druck, sie packt fest zu, läßt sich aber gut dosieren. Das Getriebe mit dem kurzen Mittelschalthebel erwies sich geradezu als Quell sportlicher Fahrfreude, so leicht und exakt ist es zu schalten. Kräfte, die man hier spart, muß man allerdings zusätzlich für Lenkung und Bremsen aufwenden. Besonders das Bremspedal verlangt nach einem starken Männerbein, das bei Vollbremsen mit aller Kraft zutreten darf.
Straßenlage und Bremsen
Wider Erwarten war die hohe Leistung ohne weiteres auf den Boden zu bringen. Das ist ein Verdienst der ausgeglichenen Gewichtsverteilung, der dicken Reifen und vor allem des Sperrdifferentiale.
Überhaupt erwies sich der GT 350 als überraschend fahrtüchtig, was Fahrwerk und Bremsen betrifft.
Natürlich ist seine Straßenlage von der eines Lotus, BMW oder Porsche weit entfernt, aber mit derjenigen des normalen Ford Mustang ist sie ebensowenig vergleichbar. Die geänderten Federn und die harte Dämpfung haben den Wagen so steif gemacht, daß nur noch eine minimale Kurvenneigung auftritt. Die Änderungen an der Vorderradgeometrie machen sich in einer spürbar verbesserten Richtungstabilität bei Geradeausfahrt sowie in einer besseren Kurvenhaftung der Vorderräder bemerkbar. Daß man den Shelby- Mustang ungleich besser in der Hand hat, liegt in erster Linie an der direkten Lenkung. Sie ist zwar schwergängig und auf schlechten Straßen ziemlich ruppig, doch sie arbeitet exakt und vermittelt einen guten Kontakt zur Fahrbahn. Wir können uns nicht erinnern, schon einmal ein amerikanisches Auto mit derart direkten und schnellen Reaktionen gefahren zu haben.
Das Kurvenverhaiten des GT 350 hängt weitgehend von der Gaspedalstellung ab. Normalerweise rollt das Auto ziemlich neutral. Doch ein Gasstoß genügt, um das Heck in der Kurve herumzuholen. Ein Kurvendrift ist mit dieser Leistung und der reaktionsschnellen Lenkung einfacher als mit den meisten Durchschnittsautos, zumal der Mustang in jeder Phase berechenbar bleibt. Man lernt schnell, die Überschußleistung auszunutzen. und nach wenigen hundert Kilometern bewegt man den röhrenden GT ganz souverän.
Auf schlechten Straßen wird das Fahren problematischer. Aber es ist nicht so, daß man nicht mehr schnell fahren könnte. Das Auto bleibt hier durchaus kursstabil. Doch das gelegentliche Versetzen der Hinterachse erfordert mehr Lenkarbeit und sorgfältiges Dosieren am Gaspedal. Bei Nässe ist es allerdings nicht mehr weit her mit den Fahreigenschaften. Das Anfahren und Beschleunigen geschieht beinahe wie auf Schneeglätte, und in Kurven heißt es sehr vorsichtig sein.
Einen nachhaltigen Eindruck hinterließen bei uns die Bremsen, obwohl der GT 350 kaum besser bremst als europäische Durchschnittsautos. Aber für uns war er der erste Amerikaner, der überhaupt über standfeste Bremsen verfügt; und damit haben wir, ehrlich gesagt, nicht gerechnet. Die Rennbremsbeläge erfordern zwar einen extrem hohen Pedaldruck. Doch wer den nötigen Druck aufbringt, darf sicher sein. daß ihn die Bremsen auch bei scharfer Gangart nicht im Stich lassen.
Die Idee vom GT
Wir reisten im Shelby- Mustang unter anderem von Genf nach Stuttgart und zurück und stellten dabei fest, daß er einen weit weniger zermürbt, als man vermutet wenn man ihn zum erstenmal sieht und hört. Natürlich ist der Motor sehr laut aber ein kraftvoll tönender V8-Motor geht einem nicht so auf die Nerven wie ein mit hoher Drehzahl kreischender. kleiner Hochleistungsmotor. In einem so großen Auto mit seinem langen Radstand macht sich ferner eine harte Federung weniger unangenehm bemerkbar als in einem kleinen. Insgesamt gewannen wir den Eindruck, daß die Straßenversion des Mustang GT 350 (abgesehen von der offenen Auspuffanlage) der ursprünglichen Vorstellung vom Gran Turismo- Wagen, also dem Wagen für schnelles, sportliches Reisen, sehr nahe kommt. Das gilt nicht zuletzt für seine mechanische Zuverlässigkeit: Weder einige tausend scharf gefahrene Kilometer noch die für starke Autos sehr strapaziösen Meßfahrten konnten diesen GT beeindrucken. Als er uns verließ, war er so gesund und stark wie am ersten Tag. Wir beneideten die Amerikaner, die so ein Auto für 4311 Dollar kaufen können.
Manfred Jantke